Die Überlieferung im Familienarchiv Harrach setzt – nach einer einzelnen
Notiz aus dem Jahr 1629 – mit italienischen Niederschriften des Kardinals
für das Jahr 1630 ein. Dieser und die folgenden Jahrgänge bis 1637 sind allesamt
ausschließlich in Italienisch überliefert und stellen vom Typ her Tagebücher
dar. Auch wenn sie nur teilweise in Schreibkalendern überliefert sind, erinnern
sie doch stark an die aus zahlreichen Beispielen des 17. Jahrhunderts bekannten
Notizen in solchen Kalendern: Sie sind relativ knapp gehalten, enthalten Notate
zu Ereignissen, Reisen und Personen sowie Geschäften, im Falle Harrachs vor
allem zu Geldgeschäften, Amtsführung und zu zeremoniellen Fragen, aber kaum
Erzählansätze. Zwar sind sie konsequent in der Ich-Form gehalten, aber Ich-Aussagen
kommen in diesen Jahrgängen noch selten vor. Wie in den meisten Schreibkalendern
legt auch Harrach in seinen Texten der dreißiger Jahre keinen Wert auf Dokumentation
des Tagesablaufs, so dass insgesamt in erster Linie der Eindruck eines Merkbuchs
entsteht.
Die zweite Romreise Harrachs im zweiten Halbjahr 1637 stellt eine Zäsur der
Überlieferung dar – ein eigenhändiges Tagebuch dokumentiert nun in großer
Ausführlichkeit Gespräche und Besuche Harrachs in Rom. Doch nicht nur durch
die Ausweitung der italienischen Niederschriften ist es, die das Jahr 1637
zur Zäsur werden lässt: Die mit der Reise nach Rom einsetzenden deutschsprachigen
Mitteilungen zeigen deutlich, wie die Form der deutschen Niederschrift im
Kontext dieser Reise aus der Korrespondenz entstand.
Die italienische Überlieferung der Jahre 1638 bis 1640 unterscheidet sich
davon weiterhin erheblich, sowohl hinsichtlich ihrer Länge wie hinsichtlich
der enthaltenen Informationen. So findet eine Vielzahl von Einzelinformationen
Eingang in die italienischen Tagesnotizen, während über den Tagesablauf Harrachs
weniger Angaben enthalten sind. Dies unterscheidet die italienischen Niederschriften
deutlich von den deutschen Tagzetteln, deren erklärtes Ziel es war, die Familie
über Harrach selbst zu informieren. Ungeachtet allmählicher Annäherungen zwischen
beiden Textsorten sowie stärkerer formaler Ähnlichkeiten bleiben dauerhaft
erhebliche inhaltliche Differenzen beider Überlieferungsstränge zu konstatieren.
Angesichts des Umfangs und der inhaltlichen Vielfalt sind diese schwer auf
einige knappe Punkte zusammenzufassen; besonders signifikant ist aber etwa
der Unterschied hinsichtlich der Notizen zu den beiden Konklaves 1644 bzw.
1655. Während beide in den italienischen Diarien großen Raum einnehmen, ausführlich
Stimmenzahlen und Verhandlungen protokolliert werden, wurden im Konklave keine
deutschen Tagzettel verfasst. Gut erkennbar ist auch, dass in den italienischen
Texten Geldangelegenheiten immer wieder eine Rolle spielen, die in den Tagzetteln
fast nie erscheinen. Die in den italienischen Texten wiederholt aufscheinenden
Hinweise auf familiäre Angelegenheiten sind in den deutschen Tagzetteln fast
überhaupt nicht zu finden. Sichtlich größeren Stellenwert haben in den Diarien
auch Fragen des Zeremoniells; entsprechende Notizen zu den Ereignissen findet
man zwar auch in den Tagzetteln, aber nie in dieser Ausführlichkeit. Hier,
in den deutschen Tagzetteln, dagegen erscheinen Meldungen zum politischen
Tagesgeschehen in erheblichen Ausmaß. Betreffen diese in den vierziger Jahren
meist die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges, so sind es in den fünfziger
Jahren zahlreiche europäische Kriegsschauplätze, derer Harrach in den Tagzetteln
gedenkt. Dagegen sind Bemerkungen zur Amtsausübung Harrachs als Kirchenfürst
in den deutschen Tagzetteln wieder eher selten, während sie im italienischen
Text regelmäßig auftauchen.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass der Gesamtkorpus der Edition
nicht nur zwei sprachlich voneinander unterschiedene Überlieferungsstränge
umfasst. Offensichtlich stehen die Sprachen auch für zwei unterschiedliche
Typen von Texten, wobei für beide die Einordnung als Selbstzeugnis zu unterstreichen
ist. In italienischer Sprache haben wir ein Tagebuch oder Diarium vor uns,
welches Harrach in erster Linie als „Magazin für künftiges Erinnern“ (Wuthenow)
führte, während der Dokumentation des Alltags weniger große Bedeutung zukam.
Dies ist zugleich der persönlichere Teil der Überlieferung, da die Notizen
wohl ausschließlich für den Gebrauch des Verfassers gedacht waren. Dass gerade
dieser Teil Italienisch, also nicht in der Muttersprache des Kardinals, geschrieben
war, könnte auf den ersten Blick dagegen sprechen – eine umfassendere Betrachtung
seines schriftlichen Nachlasses zeigt jedoch, dass es diese Sprache war, die
er gewöhnlich für persönliche, nicht-offizielle Niederschriften wählte.
In deutscher Sprache verfasste Harrach dagegen aus dem Brief entwickelte „Tagzettel“
oder „foglietti“. Diese weisen insofern ebenfalls Züge eines Tagebuches auf,
als sie chronologisch gegliedert sind und zahlreiche Nachrichten über den
Verfasser selbst aufnahmen. Insbesondere die regelmäßigen Angaben zum Tagesablauf
stellen die deutschen Texte in die Nähe von Diarien oder Schreibkalendern
und damit auch zur italienischen Überlieferung. Viel ausführlicher als dort
führte der Kardinal aber in seinen Tagzetteln Nachrichten über sich selbst
mit solchen über seine direkte Umgebung (Personen und Ereignisse am Aufenthaltsort
bzw. im näheren sozialen Umfeld) und das politische Tagesgeschehen zusammen.
Diese Kombination, besonders die Rolle politischer Meldungen, unterscheidet
die Tagzettel bereits von der Mehrzahl der zeitgenössischen Tagebücher, obwohl
auch dort Nachrichteneinsprengsel vorkamen. Entscheidend für die Auswahl der
Informationen durch den Verfasser war eben, dass die Tagzettel nicht in erster
Linie zur privaten Lektüre oder Erinnerung geschrieben wurden. Vielmehr versendete
Harrach sie in einem beschränkten, wenn auch nicht klar abgegrenzten Leserkreis
in Verwandtschaft und Freundschaft als eine Art persönliches Nachrichtenblatt.